Aus der Klagenfurter Zeitung
  4.April 1895, Seite 713 - 714


Mehr als 8 Monate vor der legendären Vorführung der Brüder Lumière am 28. Dezember 1895 erscheint in der "Klagenfurter Zeitung" ein Artikel zur Geschichte der Kinematographie, der sich auch in jeder modernen Filmgeschichte finden könnte. Viele Namen der "Vorgeschichte" des Films sind vertreten. So erfährt man vom amerikanischen Photographen Muybrigde und von Ottmar Anschütz und seinen Bemühungen um den "Schnellseher".

Ausführliche Bewunderung wird Thomas Alva Edison zuteil, der mit "seinem Kinetographen den vollkommensten Apparat gefunden" hat. Der Autor - vom dem nur die Initialen "F-n K-c" bekannt sind - vergleicht die Entwicklung des Kinetographen mit der des Phonographen und beginnt mit einer persönlichen Erfahrung.

Im Anschluß finden sie den Originalartikel vom 4. April 1895, der nur um die detaillierte Beschreibung der Funktionsweise des Phonographen gekürzt wurde.

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Feuilleton.

Phonograph und Kinetograph.

Als vor 14 Jahren ein Reisender in unserm Lehrsaal mit einem "Edison'schen Phonographen" erschien, bemächtigte sich der gesamten Schüler eine begreifliche Aufregung, sollten wir doch das erstemal die berühmte Sprechmaschine hören, von welcher uns unser Lehrer wahre Wunder erzählt hatte; doch wie enttäuscht verließ ich nach beendeter Vorstellung den Saal. Die hineingesprochenen Worte kamen näselnd, wie ein echter "Gigerl" zu sprechen pflegt, dazu auch unverständlich zurück und machten einen komischen Eindruck; erst als der Hornist unserer Cadettenanstalt gerufen wurde und in den Phonographen die uns unlieben Weisen der "Tagwache" blies, kamen die unverwüstlichen Trompetenklänge mit einiger Naturtreue wieder zurück. Es war dies eines der im ersten Stadium der Erfindung befindlichen Exemplare, welches sehr undeutlich und musikalisch höchst unschön arbeitete. Bei diesem Phonographen ließen die Schwingungen der tonempfindlichen Membrane ihre Eindrücke auf Stanniol zurück.

Ich hatte später keine Gelegenheit mehr, einen Phonographen zu hören, erst als ich 1894 in Wien die Sportausstellung besuchte, erweckte der dort befindliche Phonograph mein Interesse.

Welch großartige Vervollkommnung der Apparat in einem Decennium erfahren, kann nur jener beurtheilen, welcher die ersten Exemplare des Edinson'schen Phonographen mit Handbetrieb arbeiten gehört. (...)

Wenn man nun auch den bisher todten Photographien Leben einhauchen könnte! Dieser Gedanken war es, den Edison bei seiner neuesten Erfindung verfolgte, und auch diese Idee gelang ihm, die singende, musizierende, sprechende Person in all ihren Bewegungen mit vollkommener Naturtreue darzustellen, und dieser Apparat kann nebst dem die Stimme wiedergebenden Phonographen zu beliebiger Zeit in Thätigkeit gesetzt werden, man kann zu jeder Zeit eine liebe oder berühmte Person sich lebend und sprechend vorzaubern.

Wer von uns hat nicht schon das beliebte Kinderspielzeug die "Wunderscheibe" oder das "Stroboskop" gesehen? Auf dem einfachen Principe dieses Spielzeugs beruht der Kinetograph. In der Wunderscheibe werden die einzelnen Phasen der Bewegung auf einem Papierstreifen nebeneinander gestellt, und durch einen in schneller Drehung vorüberziehenden schmalen Spalt nacheinander uns vors Auge gebracht. Die Bilder legen sich dann im Auge übereinander und bringen den Eindruck eines einzigen sich bewegenden Bildes hervor.

Seit die Photographie imstande ist, Augenblicks-Aufnahmen zu machen, ist das immerhin überraschende Instrument wesentlich vervollkommnet worden. Man sieht darin heute Pferde über Hindernisse springen oder andere Tiere in verschiedener Gangart an uns vorbeiziehen, auch wohl ein Paar im Tanze sich umeinander drehen oder andere periodisch wiederkehrende Bewegungen.

Der amerikanische Photograph Muybridge hat ferner eine Vorrichtung erfunden, durch welche diese Bewegungen lebensgroß auf eine weiße Wand geworfen werden können. Er ließ vor einigen Jahren in der "Urania" Pferde an der Leinwand vorüber galoppieren; aber es waren immer nur die Photographien derselben. Weiter brachte es in dieser Beziehung der deutsche Moment-Photograph Ottmar Anschütz in Lissa mit seinem Schnellseher. Die Bilder erscheinen in demselben sehr klar in allen ihren Einzelzügen, aber auch er konnte nicht über eine ganz einfache periodisch wiederkehrende Bewegung hinausgehen. Alle diese Bilder werden durch eine Batterie von gewöhnlich 12-24 photograhischen Apparaten hergestellt, von denen jeder einen Bruchtheil einer Secunde später als der vorhergehende eine Augenblicksaufnahme des betreffenden bewegten Gegenstandes macht. Die Glasplatten werden nun in dem Schnellseher nacheinander vor unseren Augen vorbeigeführt und dabei jede nur einen Augenblick durch das Aufblitzen einer sogenannten "Geißler'schen Röhre" beleuchtet.

Kurz und gut, es traten von allen Seiten Schwierigkeiten auf, die Bewegungen von Menschen und Tieren in ihrer Lebenswahrheit wiederzugeben. Die Versuchs - Apparate, welche bis jetzt hergestellt wurden, können etwa mit jenem eingangs erwähnten unvollkommenen Phonographen verglichen werden, welcher nur eine sehr getrübte Wiedergabe der Stimme oder der musikalischen Laute gestattete.

Edison hat nun in seinem Kinetographen auch zu jenem Zweck den vollkommensten Apparat gefunden. Er brach zu diesem Ende zunächst mit dem Princip der kreisenden Scheiben oder Trommeln und erzeugte auf einem unausgesetzt in nur einem einzigen photographischen Apparat vorüberziehenden lichtempfindlichen Streifen nacheinander in jeder Secunde 40 Bilder des sich bewegenden Körpers, und zwar vermag er dieses Verfahren minutenlang fortzusetzen. Die Wiedervereinigung der Bilder zu einer "lebenden" Photographie geschieht in einem kleinen Apparat. Der Streifen zieht in dem Edison'schen Apparat genau mit der ursprünglichen Geschwindigkeit, welche bei der Aufnahme erforderlich war, vor einer dauernd brennenden Glühlampe vorüber.

Edison zeigte Dr. M. Wilhelm Meyer in seinem Apparat folgende Handlung: Drei Schmiedegesellen bearbeiten mit schweren Eisenhämmern eine Eisenstange auf dem Amboß, welche der eine von ihnen gelegentlich umwendete und aufhob. Nachdem das Eisen einen gewissen Bruchtheil einer Minute lang bearbeitet war, stellten die Arbeiter ihre Hämmer zur Erde, machten einige Schritte bis zu einem nahen Tisch, auf welchem drei Gläser Bier standen; sie tranken dieses Bier aus, wischten sich den Mund, nahmen ihre Hämmer wieder zur Hand und arbeiteten weiter.

Diese ganze Handlung verfolgte Dr. Meyer mit der größten Schärfe und Naturtreue in den transparenten Photographien, welche in wunderbarer Weise eben wirklich zu leben schienen.

Alle Bewegungen der Kleider oder irgend andere Einzelheiten, die man in der Wirklichkeit an dieser Gruppe aus einer Entfernung von vielleicht fünf Meter hätte beobachten können, sah man auch hier.

An sich liegen also heute keinerlei Schwierigkeiten mehr vor, jene Zukunftsphantasien zu verwirklichen, welche beispielsweise Pleßner in seiner Schrift "Ein Blick in die Erfindungen des zwanzigsten Jahrhunderts" wagte. *) Große geschichtliche Vorgänge, Schlachten, den Einzug siegreicher Truppen in die Hauptstadt, an der Spitze der Kaiser und die Feldherren mit blitzenden Waffen und über ihnen in der Luft die Lorbeerkränze, welche ihnen die jubelnde Menge entgegen wirft, dazu (mittels des Phonographen) diesen Jubel selbst und die schmetternden Siegesfanfaren, alles, das ganze ergreifende Bild des großen Augenblicks wird man lebendig für alle Zeiten festzuhalten imstande sein, so daß nach Jahrzehnten, ja nach Jahrhunderten vielleicht, wenn jener Herrscher selbst mit allen seinen siegreichen Truppen und seinem Volke, das ihm entgegen jauchzte, vom Allbezwinger Tod überwunden ist, man ihn dennoch lebendig, wie er war in jener denkwürdigen Stunde, jederzeit vor sich sehen und den Jubel wird hören können, den das beglückte Volk den Siegern einst entgegenbrachte.

Was werden die Geschichtsschreiber kommender Jahrhunderte noch zu thun haben, wenn alles lebendig, sichtbar und hörbar bleibt, was einst Wichtiges in der Welt geschah ? Dies hat die Technik - der menschliche Geist - unseres Jahrhunderts möglich gemacht. Welche Wunder wird uns das zwanzigste bringen ?


* "Sprechendes Wachs und lebendes Papier." Von Dr. M. Wilhelm Meyer.

Klagenfurter Zeitung, Nr.77, 4. April 1895, Seite 713 - 714  top

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